Ulrich Loock
Farbe, Schweben
Es wird Farbe mit solcher Intensität gesehen, dass alle Gegenstände versinken, an denen die Farbe sich zeigt, deren gesamte materielle Bindung sich verflüchtigt, sei es in der Malerei oder der sonstigen Welt. „Für mich ist das Farben Sehen [...] durchaus mit einem extremen Sehen verbunden. Einem Sehen, das ins Starren übergeht, so dass die Dinge verschwimmen und Farben sich quasi auf mich zubewegen.“[1] Schließlich lässt sich nicht mehr voneinander trennen, ob die Farbe Sache einer übersteigerten Wahrnehmung ist oder ob die farbige Strahlung sich im gleichen Raum wie diejenige Farbe präsentiert, deren verlässliche Verbindung mit den Dingen entscheidend ist für das geläufige Vertrauen in die Wirklichkeit.
Warum überhaupt so etwas wie den Gedanken an eine Halluzination ins Spiel bringen – eine vollkommen überzeugende Wahrnehmung, die von niemand anderem geteilt wird –, warum die bedrohliche Nähe zu einem klinischen Zustand suchen? Einzigartig ist, dass die Halluzination keine phantastische Abwendung von den wirklichen Dingen bedeutet, sondern zu diesen hinführt, bei, neben oder zwischen diesen Platz nimmt und ihnen in einem reaktiven Verhältnis ihre Härte, ihre Unverrückbarkeit und ihre Verpflichtung auf das Faktische nimmt.
Lässt sich der außergewöhnlichen, unvergleichlichen farbigen Erscheinung ein Körper geben? Nicht um sie an Farbträger zurückzubinden oder eine Halluzination zu illustrieren, sondern um eine eigenständige Existenz für das Getrennte, Außergewöhnliche und Gesehen/Nicht-Gesehene der Farbe zu reklamieren. Lässt die Farbe sich aus dem Bereich der gesehen/nicht-gesehenen Dinge in einen Bereich überführen, wo sie zusammen mit anderen Dingen auftritt, wirklich auftritt?
Wer malt, hat es mit körperlichen Dingen zu tun, Pinseln oder sonstigen Apparaten, um die Farbe von einem Ort an einen anderen zu übertragen (zum Bespiel aus der Farbdose auf die Leinwand), und der Maler oder die Malerin bringt den eigenen Körper ein (Merleau-Ponty). Malerei ist eine Sache der Berührung. Wie liesse sich beides miteinander verbinden, die Ungreifbarkeit einer extremen Wahrnehmung mit der körperlichen Anwesenheit der Malerei? Im Schweben. Das Schweben steht dafür ein, dass eine Sache auf dem Wege ist, sich von Bedingungen zu befreien, denen die Dinge unterworfen sind, hier der Gravitation, aber doch nicht verfliegt, aber doch eine tangible Gegenwart behält – anders, als es der Fall ist bei der Malerei in den gotischen Kathedralen, die in farbiges Licht übergeht und auf dem Weg der sinnlichen Wahrnehmung einen Zugang zu göttlicher Transzendenz verspricht.
Die Schwierigkeit besteht darin, bei der Entfesselung der Farbe auf Weltlichkeit und Immanenz zu bestehen. Bei Nicola Staeglich gibt es Malereien, in denen die Farbe zu schrillen, stechenden Intonationen getrieben wird: keine Sache der Kontemplation, sondern des Schmerzes – mit dem Wechsel des Wahrnehmungsorgans wird ein Zugang zu unbekannten Registern der Wahrnehmung gesucht. Es gibt andere Malereien, die Farbe auf eine schwache Abstrahlung reduzieren, jedoch den Bildträger in Torsionen versetzen und ein Trudeln suggerieren, das die Dimensionen des Raums verwirbelt. Seit einiger Zeit kommen Pinselstriche auf transparenten Acrylglasplatten oder durchscheinenden Polyesterfolien zu liegen, um die Farbe in einen Zwischenzustand zwischen Scheinen und körperliche Präsenz zu versetzen. Farbbahnen dringen in den Raum ein, sie generieren sensible Zonen, resonierende Membranen, unheilbare Wunden. Diese Malerei entspricht der Ambition, Farbe in die Luft zu malen.
„Slits in nothingness are not very easy to paint – but [it’s] great to try.” Diese Feststellung von Georgia O’Keeffe findet sich in einem Katalog zur Malerei von Nicola Staeglich.[2] Mit jedem neuen Versuch ergibt sich ein neues Problem – so ist die halluzinatorische Präsenz der Farbe auf Flächen aus transparentem oder halbtransparentem Material angewiesen, das seinerseits der Befestigung bedarf, Schatten wirft und so weiter. Diese Art der Einschränkung aber bedeutet nicht nur, dass die harte räumliche Wirklichkeit mit malerischen Ansprüchen interferiert, sondern auch, dass sich die Verbindlichkeit dieser Wirklichkeit auflöst.
[1] Email von Nicola Staeglich an den Autor vom 23. April 2021.
[2] Nicola Stäglich, Time Stills, Ausst.-Kat. Main Fields Projects, Los Angeles 2007.
Ulrich Loock
Colour, Hovering
Colour can be seen with such intensity that all objects on which the colour shows itself fall away, their entire material bond volatilising, be it in painting or in the rest of the world. “For me, seeing colour […] is eminently connected with an extreme form of seeing. A seeing that transitions into a gazing, with the result that things become blurred and colours, as it were, move towards me.”[1] In the final analysis, there is no way of distinguishing between whether the perceived colour is a matter of over-enhanced sensitivity or whether the radiance of colour presents itself in the same space as that colour whose reliable connection with things is decisive for our common trust in reality.
Why should the idea of an hallucination – a completely convincing perception that is shared by nobody else – be brought up in this context at all, why should one seek the threatening proximity of a clinical condition? The unique thing is that an hallucination does not mean a fantastical turning away from the things of reality but that it leads towards them, taking a seat near, alongside or in between them and in a reactive relationship taking away their harshness, their intractability and their commitment to the factual.
Can an extraordinary, incomparable colour phenomenon be given a body? Not so as to tie it down to a colour vehicle or to illustrate an hallucination but to assert an independent existence for the separate, extraordinary and seen/unseen quality of the colour. Can colour be translated from the realm of seen/unseen things into an area where it appears, really appears, together with other things?
Anyone who paints has to do with physical things, brushes or other forms of apparatus, to transfer the paint from one place to another (for example from the paint-pot to the canvas), and the painter brings in her or his own body (Merleau-Ponty). Painting is a matter of touching. How might these two things be joined together – the intangibility of an extreme perception and the physical presence of the painting? In a state of hovering. A state of hovering stands for the fact that something is in the process of freeing itself from conditions to which things are subject (here gravitation) and yet the something does not evaporate but maintains a tangible presence – different from the case of the stained glass windows in Gothic cathedrals that transmute into coloured light and promise an access to divine transcendence via the path of sensuous perception.
The difficulty consists in unleashing colour and yet insisting on secularity and immanence. In Nicola Staeglich’s oeuvre there are paintings in which the colour is driven to the point of shrill, stinging intonations: not a matter of contemplation but of pain – with the shift in the organ of perception, access is being sought to unknown registers of perception. There are other paintings that reduce colour to a weak glow and yet set the painting support into torsion, suggesting a tailspin that swirls the dimensions of space. For some time now, the artist’s brushstrokes have come to rest on transparent plates of acrylic glass or translucent polyester foil, so as to place the colour in an intermediate state between shining and physical presence. Bands of colour thrust their way into the space, generating sensitive zones, resonating membranes, incurable wounds. This is painting that corresponds to the ambition of painting colour on air.
„Slits in nothingness are not very easy to paint – but [it’s] great to try.” This statement by Georgia O’Keeffe can be found in a catalogue on Nicola Staeglich’s painting.[2] With every new attempt undertaken, a new problem arises – thus the hallucinatory presence of colour is reliant on surfaces made of transparent or semi-transparent material, which itself needs to be secured in place, casts shadows and so on. This type of limitation, however, means not only that the hard spatial reality interferes with painterly ambitions but also that the binding nature of this reality is dissolved.
[1] Email from Nicola Staeglich to the author, 23 April 2021.
[2] Nicola Staeglich, Time Stills, exhib. cat. Main Fields Projects, Los Angeles 2007.
Translation: Richard Humphrey